Früchte der Freiheit

Predigt von Michael Brinkschröder im queerGottesdienst am 12. Juli 2020 als Abschluss der Münchner Pride Week. Bibeltexte: Römer 8,18-23 und Matthäus 13,1-23

// Liebe Geschwister in Christus, 

die gesamte Schöpfung seufzt bis zum heutigen Tag. – In Indianapolis in den USA hat der Erzbischof eine Verfügung erlassen, wonach Kinder und Jugendliche, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlechtsstatus identifizieren, von den über 60 katholischen Schulen der Diözese nicht mehr aufgenommen werden dürfen. Wer während der Schulzeit sein Coming-out als trans oder divers hat, soll von der Schule verwiesen werden.

Die gesamte Schöpfung seufzt bis zum heutigen Tag. – In Polen hat der amtierende Präsident Andrzej Duda über Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans-Personen gesagt: „Man versucht uns einzureden, dass das Menschen sind. Aber es ist einfach nur eine Ideologie.“ Sein Wahlprogramm ist voll von Kampfansagen gegen „LGBT“, u.a. möchte er in die Verfassung schreiben, dass unsere queeren Geschwister in Polen keine Kinder adoptieren dürfen, weil sie die ja den heterosexuellen Familien stehlen würden. Die Atmosphäre auf der Straße ist für LGBT-Personen inzwischen feindlich, verbale Angriffe nehmen zu – vor allem in den Gegenden, die sich selbst zu LGBT-freien Zonen erklärt haben. Die Stimmung ist niedergeschlagen und deprimiert. Heute ist die Stichwahl und es wird sich entscheiden, ob Duda mit seiner Hasskampagne Erfolg hat. Doch selbst wenn er verlieren sollte, bleibt der Hass, den er gesät hat.

Die gesamte Schöpfung seufzt bis zum heutigen Tag. – In Tansania verbreitet sich, wie überall auf der Welt, die Corona-Pandemie. Sie trifft dort aber auf einen Präsidenten, der ihre Existenz verleugnet und keinen Lockdown, keine besonderen Schutzmaßnahmen verfügt hat. Er negiert außerdem die Existenz von Lesben, Schwulen, Bi- und Trans-Personen in seinem Land. Kein Verein, keine Nichtregierungsorganisation darf sich dort offiziell für ihre Belange einsetzen. LSBT-Personen werden in Krankenhäusern und Gesundheitsstationen oft abgewiesen, wenn sie als solche erkennbar sind. Auch ihre Familien haben sich nicht selten von ihnen abgewandt. Unter diesen Umständen starben in einer einzigen Stadt in Tansania allein im April vier Schwule und Trans-Frauen an Covid-19. Sie tauchen nicht einmal in einer Statistik auf, da in Tansania werden alle Statistiken von der Regierung kontrolliert werden.

Tatsächlich seufzt in diesen Tagen nicht nur die weltweite LGBT-Community, sondern viele Menschen, die an Covid-19 erkrankt sind oder deren Angehörige gestorben sind, viele Menschen, die unter den Einschränkungen leiden, die ihren Arbeitsplatz verloren haben oder Angst haben, ihn zu verlieren. Es leiden viele Schwarze und Nicht-Weiße – nicht nur in den USA – unter dem alltäglich erfahrenen Rassismus, der ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Es leiden die Menschen in Hongkong, die ihre Freiheit verlieren. Es leidet die Bevölkerung in Kenia, der es aufgrund der Heuschreckenplage an Nahrungsmitteln mangelt. Viele seufzen, wenn sie den Hass gegen Flüchtlinge sehen, der in sozialen Medien gepostet wird oder am eigenen Leib die Cancel-Kultur spüren, die keine Fehlerfreundlichkeit mehr besitzt und den Kontakt löscht, wenn eine_r mal etwas sagt, was nicht 100-prozentig korrekt ist. Unsere Umwelt leidet, weil sie durch das beschleunigte Aussterben der Tier- und Pflanzenarten dezimiert wird. Sie signalisiert uns durch die Klimaerhitzung, dass wir Menschen viel zu stark in die Natur eingreifen, ihr zu viel entnehmen und zu wenig zurückgeben.

Doch obwohl die ganze Schöpfung seufzt, spricht Paulus von seiner Überzeugung, „dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.“ Er hat eine Vision, aber auch einen schlauen Gedanken. Dieser Gedanke hängt auch mit dem Adoptionsrecht zusammen. Er ist aber nicht ausgrenzend wie in Polen, sondern dient der Inklusion: Er erwartet, dass wir alle, d.h. alle Christ_innen, als „Söhne Gottes“ in Erscheinung treten. Gott will uns aus dem Status von Sklav_innen in den Status von Söhnen erheben, die sich vom Geist Gottes leiten lassen und zusammen mit Jesus Christus verherrlicht werden.

Ihr werdet euch vielleicht an dieser Stelle fragen, warum wir alle „SÖHNE Gottes“ und nicht auch Töchter oder vielleicht intergeschlechtliche oder nicht-binäre Kinder Gottes werden sollen? Das hört sich so gar nicht queer an. Der Sinn dieser Vermännlichung erklärt sich aus dem Erbrecht im Römischen Reich der Antike, wo nur die männlichen Kinder erbberechtigt waren. Paulus will also nicht darauf hinaus, dass alle das männliche Geschlecht annehmen, weil das an sich irgendwie besser wäre als andere Geschlechter. Er will vielmehr aussagen, dass wir ALLE zu Erb_innen der Verheißungen werden, die Gott dem Volk Israel gegeben hat – und zwar nicht, um dem jüdischen Volk dieses Erbe wegzunehmen, sondern damit wir zusammen mit dem jüdischen Volk in den Genuss dieser Verheißungen kommen können. Seine Vision lautet, dass unsere Körper erlöst sind, weil wir zur „Freiheit und Pracht der Kinder Gottes“ befreit sind. In dieser erlösten Freiheit können wir gegen Hass und für Frieden, für Schalom einstehen, in dieser Pracht stehen wir da: „bunt, gemeinsam und stark“, wie das Motto des CSD in diesem Jahr lautet.

Im Gleichnis, das Jesus im heutigen Evangelium erzählt, wird auch erkennbar, wie das funktioniert, nämlich mit kleinen Schritten und immer neuen Versuchen. Wir können Samenkörner aussäen mit der Hoffnung, dass da etwas Neues wächst. Wir wissen zwar nicht vorab, ob sie auf fruchtbaren Boden fallen und gedeihen oder ob sie auf felsigen Boden fallen und eingehen oder ob sie von Dornen und Gestrüpp überwuchert werden. Aber wir müssen es versuchen. Wir können vielleicht die Erfolgsaussichten des Saatkorns vergrößern, indem wir aufmerksam und wachsam sind: Wenn wir die Dornen rechtzeitig abschneiden, bekommen die Keimlinge genügend Licht. Wenn wir die Vögel verscheuchen, kann vielleicht sogar auf dem Weg etwas wachsen. Und wenn wir lernen, wo sich der felsige Boden befindet, streuen wir die Saatkörner besser anderswo aus.

Die gesamte Schöpfung seufzt bis zum heutigen Tag, aber wir haben die Hoffnung, dass das nicht auf ewig so bleibt. Der Erzbischof von Indianapolis hatte seinen Erlass geheim an alle Priester der Erzdiözese gerichtet, aber nicht alle waren damit einverstanden und einige haben ihn öffentlich gemacht. Gestern haben die katholischen Gruppen DignityUSA und Fortunate Families eine Autorallye vor dem Sitz des Erzbischofs von Indianapolis veranstaltet. Sie rufen zu einer weltweiten Unterschriftenaktion auf, die jede_r von uns leicht auf der Facebook-Seite des Queergottesdienstes unterzeichnen kann.

Heute haben die Pol_innen die Wahl, welchen Präsidenten sie bevorzugen. Ich kenne das Ergebnis noch nicht. Aber auch wir in Deutschland haben die Möglichkeit, Städtepartnerschaften mit polnischen Städten, die sich zu LGBT-freien Zonen erklärt haben, dazu zu nutzen, das Thema in den Mittelpunkt der Gespräche zu stellen, was m.E. im Moment das bessere Vorgehen ist als die Städtepartnerschaften einfach zu kündigen. Außerdem hatte Miro die Idee, dass das Global Network of Rainbow Catholics die katholischen Bischöfe in Polen auffordert, sich stärker für die Menschenwürde der queeren Personen einzusetzen.

Im Norden Tansanias ist in den letzten Wochen ein Projekt neu entstanden, das sich um LSBT-Personen kümmert, die an Covid-19 erkrankt sind. Der Leiter hat für sie eine sichere Wohnung angemietet und Geld aufgetrieben, um einen Arzt, Krankenpfleger_innen, Medikamente und Nahrung zu finanzieren. Und es gibt die gute Nachricht, dass ein HIV-positiver Mann, der sich zusätzlich mit Corona infiziert hatte, zumindest diese Krankheit überstanden hat. Für dieses Projekt in Tansania ist heute unsere Kollekte am Ende des Gottesdienstes bestimmt. –

Alles dies sind Saatkörner, von denen wir hoffen, dass sie wachsen und aufgehen. – Aber wir können noch eine Kleinigkeit mehr tun. Ihr habt am Eingang einen runden Zettel und einen Kugelschreiber bekommen. Ich möchte euch jetzt bitten, auf den Zettel einen Satz zu schreiben. Was ist dein Wort gegen den Hass und für den Frieden? Es kann ein Wunsch sein, eine Vision, eine Bitte oder ein Zuspruch. Schreib diesen Satz auf. Anschließend könnt ihr nach vorne kommen und die runde Karte vorne an den Altar kleben. Dazu müsst ihr die Folie vom Doppelklebeband abziehen. Achtet bitte darauf, dabei genügend Abstand voneinander zu halten.

Michael Brinkschröder

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